Alte Gewohnheiten blockieren Umstieg zum Elektroauto
Wenn man seit bald 10 Jahren mit einem Elektroauto fährt, dann hat man schon vieles erlebt und wundert sich über kein noch so absurdes Gegenargument gegen den Umstieg. Selbst die Preise purzeln derzeit, sodass es kaum noch Gründe geben kann, den Ausstieg aus dem Erdölzeitalter nicht zu wagen. Ein Problem bleibt allerdings bei vielen langjährigen Fahrerinnen und Fahrern von Verbrennerautos. Sie haben sich ein Verhalten antrainiert, das nicht so gut zum Elektroauto passt. Die Rede ist vom Tanken. Man fährt und fährt, bis die Tankanzeige auf Reserve springt. Dann sucht man eine Tankstelle in der Nähe und füllt den Tank mit ziemlich teurem Kraftstoff nach. Dieser Vorgang wiederholt sich dann und brennt sich ins Hirn ein. Wer jetzt den Fehler macht und diesen Ablauf der Energiebeschaffung 1:1 auf ein Elektroauto überträgt, dem kann es schon mal ein paar Nerven verlieren. Normalerweise gibt es entlang der Autobahnen genügend Ladesäulen. Die Fahrerinnen und Fahrer eines bekannten US-Elektroautobauers interessiert das weniger, weil der Hersteller ein eigenes weltweites Ladenetz aufgebaut hat. Sie fahren einfach los und das Auto zeigt ihnen die nächste freie Ladesäule, die garantiert funktioniert. Andere Hersteller kalkulieren auch notwendige Ladestopps auf längeren Strecken mit ein, aber eine 100-prozentige Garantie hat man nie. Also ob die Säule frei ist, ob man mit dem eigenen Ladetarif bezahlen kann oder ob sie wirklich funktioniert. Ein bisschen Glücksspiel ist noch dabei, sodass bei manchen die Reichweitenangst überhandnimmt.
Reichweitenangst kurieren
Statt jetzt alle 10 Kilometer an Autobahnen Schnellladeparks mit mindestens 50 Ladepunkten vorzuschreiben, halte ich es für sinnvoller, das sogenannte „Destination Charging“ voranzutreiben. Am Ziel jeder Fahrt und insbesondere nach längeren Fahrten sollten deutlich mehr Lademöglichkeiten geschaffen werden. Das können sogenannte langsame „Schnarchlader“ sein, die den Akku eines Elektromobils über Nacht wieder aufladen. Ich habe in den vergangenen Jahren einige Langstreckenfahrten unternommen. Selten gab es an den Zielpunkten eine oder ausreichende Lademöglichkeiten. Meine letzte längere Reise war von Wolfsburg nach Chemnitz. Mit meinem ID.4 konnte ich die Strecke ohne Ladestopp – außer einer kurzen Pipipause – durchfahren. Das aber nur, weil auf dem öffentlichen Parkplatz neben dem Hotel vier Ladeanschlüsse waren. Bei Ankunft das Auto abgestellt, angeschlossen und über Nacht geladen (Steht er, dann lädt er). Es hätte sein können, dass die vier Parkplätze von Verbrenner zugeparkt wären. Das kann man auf der Fahrt dorthin natürlich nicht wissen. Aber erstens stand gegenüber beim amerikanischen Burgerbrater ein Schnelllader und zweitens scheinen die Sachsen sehr diszipliniert! Da habe ich in Wolfsburg schon wesentlich mehr Ignoranz gegenüber Elektroautos erlebt. Fazit: Man kann die Reichweitenangst aus dem Kopf bekommen, wenn man jede Möglichkeit nutzt, das Elektroauto zu laden, wenn es ohnehin länger steht.
Studie: Aufladen ist Kopfsache
Eine aktuelle Studie mit dem Titel „Mental models guide electric vehicle charging“ (Deutsch: Mentale Modelle für das Laden von Elektrofahrzeugen) hat sich detailliert mit dieser mentalen Reichweitenangst auseinandergesetzt. Wem der englische Text zu lang ist, der kann auch die kurze Zusammenfassung im Wissenspodcast vom Deutschlandfunk „Aufladen ist Kopfsache“ hören.
Meinung von Norbert Schulze – Elektrisch unterwegs seit 2016
Da hast du eine tolle Studie gefunden, vielen Dank! Für alle, die wenig lesen wollen, ist der Studie auch ein Comic-Version beigelegt 😉